Aber natürlich (nicht) mit Vorurteilen!

Aber natürlich (nicht) mit Vorurteilen!

„Es hat sich als leichter erwiesen, Atome zu spalten, als die Fülle von Gruppen- und Rassenvorurteilen hierzulande zu zertrümmern.“ G. WATSON

So lautete es im Jahre 1947. Trotz dessen, dass man annehmen könnte, dass heutige Gesellschaften im Zeitalter der Globalisierung diesem schon weit voraus sein müssten, ist es eine unumstößliche Tatsache, dass es im Sandkasten bestehend aus Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit noch viel zu buddeln gibt. Abgesehen von den Erziehungs- und Sozialisationsbedingungen eines jeden, in denen automatisch gewisse Stereotypen und Denkmuster vermittelt werden, leistet der mediale Einfluss ununterbrochen seinen Beitrag dazu, stets nach neuem Treibsand zu sorgen.

Doch was genau sind Vorurteile – und vor allem: warum gibt es sie, welche Funktionen erfüllen sie? Per Definition ist ein Vorurteil eine Behauptung in Form eines Pseudo-Urteils, da es die Kriterien eines Urteils nicht erfüllt. Es ist stets verbunden mit einer negativen Einstellung gegenüber anderen Gruppen und wird meist von mehreren Gruppenmitgliedern zugleich vertreten (vgl. Güttler 2003, S.111).

Gewöhnlich werden ethnische Minderheiten oder diverse soziale Sachverhalte wie z.B. die Religion mit Vorurteilen behaftet.

Bezogen auf die Situation in Deutschland ist es nicht von der Hand zu weisen, dass  Migranten unterschiedlicher Herkunft mit Stereotypen konfrontiert werden – mehr oder weniger. Und wenn z.B. auch noch der Aspekt der Religion mit ins Spiel kommt, kumulieren sich die vorgefertigten Denkmuster von Vorurteilen erheblich.

Die kognitive Komponente eines Vorurteils wird als Stereotyp bezeichnet, welche die Fiktionen und Bilder in unseren Köpfen darstellen. Ein kultureller Stereotyp ist ein homogenes Meinungsbild, welches von vielen Menschen einer sozialen Gruppe oder Nation entgegengebracht wird (vgl. Güttler 2003, S.113).

Ein Vorurteil gibt in diesem Sinnzusammenhang neben dem kommunikativen Inhaltsaspekt auch immer kund über den gestörten Beziehungsaspekt zwischen zwei Menschen oder paralleler Gesellschaften, die  insbesondere aufgrund von Vorurteilen in ein und derselben Gesellschaft entstehen.

Dementsprechend spielt die emotionale Komponente in solchen Prozessen der Abwertung eine zentrale Rolle – denn logisch und argumentativ begründbar sind Vorurteile meist nicht (vgl. Güttler 2003, S.112).

Sprich, wenn in Deutschland gegenüber Muslimen oder allgemein den Bürgern mit Migrationshintergrund Vorurteile gehegt werden, dann liegt es daran, dass a) vom Inhaltsaspekt aus betrachtet einige Pseudo-Urteile und ein Scheinwissen besteht und b) dass die zwischenmenschliche Beziehung Störungen aufweist. Das Paradoxon hierbei ist, dass man demjenigen gegenüber, dem man Vorteile entgegenbringt, in den meisten Fällen keinen regen Kontaktwillen erweisen kann. Demjenigen jedoch, mit dem man keinen persönlichen Kontakt aufgebaut hat, dürfte man nach den Regeln der Logik eigentlich nicht mit Vorurteilen begegnen.

Der Spieß kann natürlich auch umgedreht und auf einige Muslime bezogen werden, die auch vorgefertigte Meinungen gegenüber Nichtmuslimen oder sogar dem muslimischen Nachbarn von nebenan haben können.

Doch was nützen einem diese negativen Einstellungen? Sind sie nicht eine Vergeudung von kostbaren Nerven, indem man negativ über seine Mitmenschen denkt, oder sind sie sogar eine psychische Erleichterung, da man sich bequemerweise ein Leben lang auf sie beruhen kann, ohne den aufrichtigen sozialen Kontakt “zum Anderen“ suchen zu müssen, um sich eines Besseren belehren zu lassen? Jedenfalls erfüllen Vorurteile stets gewisse Funktionen. Sie können als Schutz vor Selbstkritik dienen und somit das Selbstwertgefühl desjenigen stabilisieren. Laut der “Sündenbocktheorie“ können sie demjenigen, der anderen mit vehementen Vorurteilen begegnet, auch eine gewisse Aggressionsabfuhr gestatten, die derjenige sonst in sich kehren muss. Eine dritte, mögliche Funktion des Vorurteils ist, dass die Eigengruppe von einer Fremdgruppe abgegrenzt und dadurch auch aufgewertet wird. Neben den obigen Funktionen können Vorurteile und Stereotypen jedoch auch vor kognitivem Chaos bewahren und die Informationsaufnahme- und Verarbeitung erleichtern (vgl. Güttler 2003, S.114).

Abgesehen vom Letzteren, sollten einem die überwiegend negativen Konsequenzen von Vorurteilen stets bewusst sein. Diese sind in Deutschland wie auch auf der ganzen Welt der erste und zugleich der signifikanteste Schritt zur sozialen Diskriminierung, zur differentiellen Behandlung von Menschen, zur sozialen Distanz. Im Zeitalter des größten Kommunikationsaustausches mit der gesamten Welt mittels modernster elektronischer Medien, sollte man die Alltagsrealität nicht aus den Augen verlieren und meinen, seine eigenen Nachbarn nur durch Fernsehberichte und mit Hilfe vorgeformter Vorurteile ausreichend zu kennen.

Sema Nur K?l?çaslan

kilicaslan.sema@gmail.com

Literatur:

Güttler, Peter O.: Sozialpsychologie. Soziale Einstellungen, Vorurteile, Einstellungsänderungen. 4., durchgesehene und unwesentl. erweiterte Aufl. München 2003.

Publiziert in: Ayasofya, Nr.32, 2010