Du brauchst eine neue Welt

Du brauchst eine neue Welt

 

Ja, der Mensch… Ich interessiere mich auch für ihn, aber ich suche ihn auf meine Weise. Zum Beispiel sammele ich alte Fotos von Menschen. Natürlich sind sie alle schwarzweiß… Ich gehe auf Flohmärkte und suche nach Fotos von Menschen aus alten Zeiten.

 

Manche Erben verkaufen zusammen mit den alten Büchern auch die alten Fotoalben. Oder die Reste des Lebens von alten Menschen, die in einem Altenheim gelandet sind…

 

Na ja… Ich habe ganze Schachtel voller Fotos. Immer, wenn ich Zeit finde oder es mir danach ist, wenn ich eine Sehnsucht verspüre, stelle ich sie in meinem Zimmer in einer bestimmten Reihenfolge auf, dann betrachte ich sie aufmerksam, untersuche sie und denke mir stundenlang Geschichten dazu aus.

 

Manchmal werde ich traurig und ich weine dann. Hunderte Leben, die ausgelöscht wurden, die von der Erde verschwunden sind. Wer weiß, vielleicht sind sie auch aus der Erinnerung ihrer Nahestehenden verschwunden. Oder sie sind lediglich als ein Name auf einem Stück Papier, auf einem Bild übrig geblieben.

 

Ob auch mein Schicksal so einen Verlauf nehmen wird? Sicher hatten auch diese Menschen ihre Hoffnungen, Wünsche, Leidenschaften. Sie waren auch einmal Kinder, sie wuchsen auf und wurden dann alte Menschen. Manche hatten nicht einmal die Gelegenheit, alt zu werden, sind einfach von dieser Welt verschwunden.

 

Ich kenne fast keinen einzigen dieser Menschen auf den Fotos, aber irgendwie kenne ich sie doch alle. Manchmal schließe ich meine Augen und versuche mich an ihre Gesichter zu erinnern. Sie kommen mir wie Mitglieder meiner Familie vor. Ach, die armen Menschen!

 

Sammelst du auch etwas? Und wenn ja, was? Ich beginne dich allmählich kennen zu lernen. Sei mir nicht böse, aber auf mich wirkst du etwas widersprüchlich. Das meine ich nicht böse. Aber ich meine, dass deine Seele etwas konfus ist.

 

Jemand, der dich nicht kennt, könnte dich für einen emotionslosen Menschen halten. Aber das ist natürlich ein Irrtum. Du hast eine gefühlvolle Seite, aber du versteckst sie. Als würdest du dich deren schämen.

 

Fragst du dich, wie ein Mann, der so viel über solch ernste Dinge nachdenkt, emotional sein sollte? Vielleicht sind meine Überlegungen bloße Phantasien, aber auf mich wirkst du nun mal so.

 

Bist du mit deinem Leben zufrieden? Hast du keine Wünsche, bereust du manche Dinge? Wie kann man ohne Liebe, ohne Fürsorge, sorglos sein?

 

Du hast ein schönes Hobby, ein interessantes Thema, das du dir ausgesucht hattest! Ich werde dir auch alte Photos schicken, wenn ich welche finde. Wenn ich etwas zu deiner Sammlung beitragen kann, freut mich das sehr.

 

Ich habe auch ein vergleichbares Hobby. Ich sammele Bücher, die im Format, Umfang und Seitenzahl ähnlich sind und die Gemeinsamkeiten haben bezüglich des Autors und der Ziele.

 

Ich suche nach bestimmten Gemeinsamkeiten in diesen Büchern. Sie sollen alt sein und bereits gelesen worden sein. Wenn auf der ersten Seite ein Name oder sogar eine Unterschrift oder ein Datum steht, dann freue ich mich sogar noch mehr.

 

Ich habe bereits einige solcher Bücher. Manche Leser haben bestimmte Zeilen unterstrichen, haben wichtige Stellen markiert und Notizen hinzugefügt. Wenn ich so etwas sehe, werden in mir Erinnerungen wach.

 

Ich bevorzuge Erzählungen, kurze Romane, Essays, Gedichte oder Anthologien. Sie sollten sprachlich und stilistisch hervorstechen, und auch die Aufmachung und der Umfang soll ansprechend sein – und natürlich von einem guten Autor geschrieben worden sein. Ideen und Gefühle sollten Hand in Hand gehen, sie sollen sich ergänzen wie die zwei Flügel eines Vogels. Im Mittelpunkt sollte der Mensch stehen, der Autor sollte die Menschen beschreiben.

 

Ich habe inzwischen zweihundert solche Bücher. Ich stelle sie nebeneinander auf und streichele ihre Seiten, als wären sie die Haare einer Geliebten. Ich habe sie alle mehrmals schon gelesen.

 

Ich habe nur ausgesuchte Werke gesammelt, das Beste vom Besten. Sie haben einen wichtigen Beitrag gehabt, dass auch ich meine Sprache und meinen Stil entwickeln konnte. Ich nehme sie mir als Beispiel – auch jetzt, wenn ich diese Zeilen schreibe und über deren Wirkung auf mich nachdenke.

 

Mit Dostojevski erlebte ich „Die weißen Nächte“ von Petersburg, Tagore brachte mir die Exotik Indiens in mein Wohnzimmer. Hemingways Kurzgeschichten öffneten mir wichtige neue Fenster auf die Welt und Yunus Emre erfrischte meine Seele mit den reinen Lichtern der Liebe.

 

Camus reichte mir mit seinem „Der Fremde“ seine Philosophie, Kafka entführte mich durch seine „In der Strafkolonie“ in seine eigene Märchenwelt. Durch Tolstojs „Drei Tode“ stellte ich mich der Realität. Sadi, jener weise Mensch, bot mir durch sein „Gülistan“ ein warmes Lächeln und seine Lebenserfahrung.

 

Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“ erhielt neue Einsichten und Unamuno sagte „Ein ganzer Mann“. Nursi eröffnete in seinem Buch „Kleine Worte“ große Wahrheiten. André Gide definierte das enge Tor – also das Schwierige.

 

Ich kann sie nicht alle aufzählen – du müsstest sie selbst sehen. Hunderte Namen, Bilder, Leben und Erinnerungen. Wer weiß, vielleicht kommen wir eines Tages zusammen, irgendwo auf dieser vergänglichen Welt. Dann werde ich mir deine Fotos ansehen und du liest meine Bücher.

 

Heutzutage bin ich sehr nervös. Bald erfahren wir die Ergebnisse der Prüfungen und ich bin deshalb sehr angespannt. Ich rege mich über jede Kleinigkeit auf, dann ärgere ich mich über mich selbst, warum ich mich aufgeregt habe. Ich habe Schlafstörungen und auch mit dem Essen habe ich Probleme. Als ich noch zur Schule ging, war mein Leben viel geordneter, ob ich es wollte oder nicht. Ich bin jetzt völlig aus dem Tritt geraten. Auch gesundheitlich bin ich

nicht auf der Höhe. Krank bin ich ja nicht, aber ich fühle mich nicht wohl.

 

Du wächst! Ich meine damit nicht, dass du älter wirst, sondern, dass du seelisch wächst. Du möchtest in tiefere Schichten vordringen, die Oberflächlichkeit bedrückt dich.

 

Deine Suche hat begonnen und deine innere Stimme macht dir Druck, warnt dich. Höre auf diese Stimme. Du musst in jeder Frage deine eigenen Vorlieben haben.

 

Lege besonderen Wert auf die Kleidung, Ernährung und Gesundheit. Esse bei jeder Mahlzeit nur eine Sorte. Esse wenig aber gute Qualität und wenn es nötig sein sollte, lieber öfters wenig als auf einmal viel. Esse nicht, wenn du keinen Hunger hast. Esse im Sitzen und ruhig, kaue sorgfältig und langsam. Höre auf, wenn du nicht mehr Appetit spürst. Iss zwischen zwei Mahlzeiten nichts.

 

Vergiss nicht viel Obst zu essen. Meide künstliche Lebensmittel und solche mit chemischen Zusätzen oder Konservierungsstoffen, ohne Vitalstoffe, ebenso Alkohol, Saueres, aber auch abgestandene Getränke. Trink viel Wasser. Nimm keine unnatürliche Medizin, wenn es nicht unbedingt sein muss. Bevorzuge Gegenstände aus natürlichen Materialien wie Holz, Leder, Wolle, Ton.

 

Lege besonderen Wert auf deine Kleidung. Kleide dich schlicht aber achte auf gute Qualität, auf natürliche Stoffe, Sauberkeit, unkomplizierte und harmonische Sachen. Deine Kleidung soll zu deinem Alter, deiner Persönlichkeit und deiner gesellschaftlichen Stellung passen. Kleidung, die dir nicht gefällt, solltest du lieber aussortieren oder spenden. Wähle deine Kleidung dem Wetter und der Umgebung entsprechend aus.

 

Gründe für Krankheiten können sein: falsche Ernährung, schädliche Süchte, unregelmäßiger Schlaf, negative Gedanken und ebensolche seelische Zustände, extreme Temperaturen, starke Müdigkeit sowie ungenügende Sauberkeit und Hygiene.

 

Für die Gesundheit sind folgende Dinge notwendig: Sauberkeit, eine ausgewogene Ernährung, ein ausgeglichenes Leben, ausreichender Schlaf, genügend Erholung nach Anstrengungen, natürliche Bekleidung, positives Denken und ebensolche seelische Zustände.

 

Die Lichter, die die Seele erhellen, sind: Zärtlichkeit, Liebe, Mitgefühl. Und die sollte man auch ausstrahlen. Verwandele deine Liebe in Taten. Zeige deine Liebe deinen Nahestehenden ganz deutlich. Zum Beispiel unternimm mit ihnen Ausflüge.

 

Denk darüber nach, mit wem du befreundet oder mit wem du zusammen bist, überprüfe diese Beziehungen und die Menschen und wähle aus. Manche Freunde sind wie die Luft, manche wie Brot, manche wie eine Arznei und manche wie Gift. Widme jedem von ihnen so viel Zeit wie seine Bedeutung ist und halte dich von dem Gift fern. Schaffe eine Balance in deinen Beziehungen.

 

 

Aus dem Buch: „Du brauchst eine neue Welt“ von Ömer Sevinçgül. Bestellbar

unter info@nurberg.com

 

 

Ömer Sevinçgül

omersevincgul@gmail.com

Publiziert in der Ayasofya 47, 2014

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