Halal oder haram ?

Halal oder haram ?

 

Die Frage, ob etwas halal sei, führt in die Mitte muslimischen Glaubenslebens, die jedoch in der theologisch geprägten Kultur der christlich-säkularen Gesellschaft als historisch überholt bei Seite geschoben worden ist und wird; zudem  leben die muslimischen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ihr halal gemäßes Leben meist so, dass ihr Freundeskreis dieses nicht mitbekommt. Wer kein Bier trinkt kann immer sagen, dass er, sie noch Auto fahren muss; und auf den Speisekarten werden heute so viel unterschiedliche Gerichte angeboten, dass eine halal bestimmte Auswahl niemandem auffällt. Und dennoch haben auch die angepassten Gläubigen die Rechtleitung halal-haram im Hinterkopf. Hinzu kommt, dass Muslime Restaurants mit rein  deutscher Küche eher vermeiden. In der typisch deutschen Kneipe sind selten Muslime anzutreffen.

Doch die Frage, ob etwas halal oder haram sein könnte, betrifft nicht allein die Ernährung, sondern die Rechtleitung, Seine Rechtleitung schlechthin; schließlich sagt Er in Seiner Offenbarung, nachdem Er Adam verziehen hat: „(Denn obwohl)  Wir sagten: `Hinunter mit euch allen von diesem (Zustand)“, wird dennoch ganz gewiss Rechtleitung von Mir zu euch kommen: und jene, die Meiner Rechtleitung folgen, brauchen keine Furcht zu haben, noch sollen sie bekümmert sein: ..“ 

Die Rechtleitung meint hier nicht ein einzelnes Verhalten, vielmehr etwas Grundsätzliches: ein Leben in und mit Seiner Rechtleitung. Dazu haben sich die Gläubigen stets am schönen Vorbild des ehrwürdigen Propheten orientiert, d.h. an der Offenbarung, dem Qur´an,  sowie an seinem  Verhalten.

Im Laufe der historischen Entwicklung der ummah und der lokalen Gemeinschaften wurde all das integriert, was nach Auffassung der Gelehrten aus dem örtlichen Brauchtum kam aber dem allgemeinen adab nicht widersprach. Auf diese Weise entstand eine große Vielfalt, mit der die Muslime stets ohne irgendwelche Probleme gelebt haben; was sich erst im zwanzigsten Jahrhundert dadurch änderte, dass unter dem Druck europäischer Dominanz die ursprünglichen Ambiguitäten zunehmend verdrängt wurden. Obwohl niemand den alten Satz bezweifelt, dass ein Urteil sich dann ändert, wenn sich seine Voraussetzungen ändern. Allein wer kann dies beurteilen. Die Gläubigen der ersten und meist auch der zweiten (Einwanderer-) Generation wandten sich dazu an einen Gelehrten, umgangssprachlich einen Imam, der gerade erreichbar war.  Mit einem Griff zu seinem nationalen Ilmihal  im Buchregal beurteilte er gemäß der ihm vertrauten Tradition. Spätestens mit der dritten Generation akzeptierten immer weniger Gläubige solche gebundenen Entscheidungen. Die Alternative war, dass die Jungen nicht mehr fragten, sondern selbst entschieden, was für sie halal war. So entwickelte sich etwas, das man begrifflich wohl am ehesten als „personalen idjtihad“ bezeichnen könnte. Dazu gehört die Neigung in Zweifelsfällen, ob etwas halal oder gar haram sei, sich an den eigenen Laptop zusetzen und seine Frage dort einzugeben. So wurde „Scheich Google“ zum allgegenwärtigen Imam.  Hierüber sprechen zwar die Jungen unter einander, aber weder in der Familie noch im Kreis der Gemeinschaften in der Moschee. Zu dem sind manche pubertären Fragen tabuisiert wie etwa, was zina sei.

So gibt es in der ummah alemaniya keine offene Diskussion darüber, was im Kontext einer Minderheit innerhalb einer christlich- säkularen Kultur eine islamische Lebensweise unter Seiner Rechtleitung sei. Viele Ältere diskutieren mit Abscheu das moderne Leben in Discos oder die deutschen bzw. russischen Freundinnen ihrer Söhne, ohne zu bedenken, ob die inzwischen häufige Anhängigkeit vom Internet mit all seinen Möglichkeiten, die sie selber durch den gekauften Laptop erst ermöglichen, nicht viel problematischer ist als das Treffen mit der Freundin. Schließlich ist die Freundin ein schon immer bekanntes Problem, aber der Computer ist doch modern und den braucht man in der Schule und im Beruf. Wenn jedoch der Sohn oder die Tochter fünf Stunden täglich am laptop, Handy „hängt“, dann ist der Übergang zur Sucht erreicht.  Halal? Nein, haram, denn Sucht ist im muslimischen Glaubensleben untersagt.

Solche Probleme machen bewusst, in welcher Spannung ein  orthopraktisch orientierter Gläubiger in einer areligiösen, säkularen Gesellschaft  lebt, die zugleich die Religionsfreiheit als eines ihrer Grundlagen betrachtet. Er muss seine am täglichen Tun orientierte Gläubigkeit gegen die Normalität seiner Umgebung leben, was in protestantisch geprägter Bevölkerung besonders schwierig ist, denn Luther hat das Werk für ungläubiges Tun erklärte. Der evangelische Begriff ist ´Werkgerechtigkeit`, mit dem heute das muslimische Verhalten belegt wird. Nur trifft dieser Begriff nicht die Gläubigkeit des Muslim.  Es führte an dieser Stelle zu weit, das Warum zu begründen. Diese Diskrimination des Werkes hat in  evangelisch-säkularen Gesellschaften für die zum Tun verpflichtete Muslime insofern eine unangenehme Konsequenz, als ihre praktizierte Frömmigkeit auf ihre Mitmenschen antiquiert wirkt, als alt modisch. Sicherheitsbewusste Politiker sehen darin eine Abwehr der Säkularität. Dabei gilt es zu bedenken, dass Muslime im Dialog auf gänzlich unterschiedliche Kontexte in Deutschland stoßen. Während im katholischen München man zu allen Tageszeiten Betende in den Kirchen sieht, ist es im protestantischen Flensburg eher die Ausnahme. Und in den Moscheen. . . .  Gelebte Orthopraxie macht jeden Verfassungsschutz misstrauisch.

Die Konsequenz ist, dass vor allem jungendliche Muslime sich auf den Kern der islamischen Lebensweise zurückgeworfen fühlen; und das  Halal läuft dann im selbstverständlichen Nebenbei. Daher ist es für die islamischen Gemeinschaften so wichtig, dass der islamische Religionsunterricht durch eine fundierte Religionspädagogik getragen werden wird, um Muslime sprach- und überlebensfähig  zu machen. Halal vermag so zu selbstverständlichen Ausdruck von taqwa zu werden. Wer auf diese Weise religiös sprachfähig wird, der kann auch jedem Mitbürger erklären, warum Frömmigkeit kein Gegensatz zur Säkularität ist.

 

Wolf D. Ahmed  Aries

w.d.a.aries@online.de

Publiziert in der Ayasofya 39, 2012

                    

 

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