Ramadan! Wieder einmal?

 Ramadan! Wieder einmal?

Zu keinem Zeitpunkt im Ablauf des gregorianischen Jahres erlebt der Gläubige den Unterschied zwischen sich und seiner säkularen Umwelt so stark wie in den dreißig Tagen des Fastens. Der Arbeitsrhythmus der Moderne in der Produktion, den Büros und den Verwaltungen füllt den Einzelnen so aus, dass das Bewusstsein für die Schöpfung, in der wir leben, gar nicht mehr in den Vordergrund zu treten vermag. Seine Schöpfung und das von Ihm uns aufgegebene Kalifat verschwindet hinter der alltäglichen Welt, in der die Ingenieur- und Naturwissenschaften uns demonstrieren, wie wir was tun können, um nicht nur die Natur zu beherrschen, sondern uns auch bequemer in dieser Welt einrichten zu können.

 

Und dann ist wieder einmal das Fasten angesagt. „Es entspricht nicht der Moderne“, sagen die einen, während einige Orientalisten der Mehrheitsbevölkerung erklären, es sei ein aus der Vormoderne stammendes Ritual, d.h. es gehörte nicht in die Gegenwart. Der Gläubige hingegen sorgt sich, wie er dem Gebot des Fastens so entsprechen kann, dass es zu keinen Schwierigkeiten in diesem modernen Alltag kommt. Viele haben ihren privaten Weg entwickelt, in dem der Urlaub vielleicht die unauffälligste Form ist, bei der der Gläubige sich aus dem Alltag der Mehrheitsgesellschaft zurückzieht. Hinzu kommen die sogenannten Ramadan-Gläubigen, die sich um ihren Glauben ansonsten so gut wie nicht kümmern, aber im Ramadan beten und auf sonst Gewohntes verzichten. Bemerkenswert ist, dass auch jene, die dem Islam fern stehen und sich um das Fasten nicht kümmern, sich dennoch des besonderen Charakters des Monats bewusst sind. Und selbst in den härtesten Zeiten der Unterdrückung wurde der Ramadan nirgends verboten. Vielleicht ist dies so, weil in diesen besonderen dreißig Tagen die Großfamilien (wieder) zusammenfinden, die das moderne Arbeitsleben in Kleinfamilien aufspaltete und über das Land verteilte.

Für den Frommen ist es nicht „wieder einmal“ Ramadan, sondern es ist eine Zeit der Freude angebrochen. Er konzentriert sich auf Gottes Wort, versinkt im Gebet und macht sich bewusst, dass auch diese Zeit mit all ihren Erscheinungen Seine Schöpfung ist. „Siehst du denn nicht,“ so rezitiert der Gläubige Sein Wort, „dass alles, was in den Himmeln und auf Erden ist, Gott preist? Auch die Vögel, wenn sie ihre Schwingen ausbreiten. Alle wissen, wie sie zu beten und zu preisen haben. Gott weiß um das, was sie tun.“ (Koran, 24:41, Übertragung durch Hartmut Bobzin).

 

Es war und ist dieses Bewusstsein, dass die Gläubigen davor schützt, die Anfeindungen trotz aller Beschwernisse ihren Glauben nicht zum Ritual verkommen zu lassen oder aufzugeben. Es war und ist eine lebenslange Aufgabe, deren Charakter sich nicht nur in den verschiedenen Abschnitten des Lebens verändert, sondern sich stets in Aufgaben widerfindet, wie dem Waschen und Reinigen bis hin zum Auswendiglernen und Beten, kurz: der gläubigen Hingabe zu Gott.

 

So kann jeder Tag im Ramadan zur Chance zum Reifen im Glauben werden, wobei es  wieder einmal als beglückend erfahren werden kann, wenn man z.B. wieder einmal etwas mehr von Seinem Wort verstanden hat, dessen Rezitation man zwar in der Gemeinschaft der Mesjid gehört hat, aber zu Hause in der eigenen Sprache nachgelesen hat. Beides gehört zusammen.

 

Die Familien und die organisierten Gemeinschaften nutzen das abendliche Fastenbrechen, um Freunde und jene, mit denen man im Alltag viel zu tun hat, einzuladen. Verwundert erlebt dann mancher Nachbar, dass man auch ohne einen Tropfen Alkohol einen gemütlichen Abend verbringen kann. So manch einer blieb daher schon länger als geplant. Gibt es eine bessere Einladung zu unserer Gemeinschaft?

 

In diesem Jahr mischt sich allerdings ein bitteres Gefühl in die Hinwendung zum Fasten für Ihn, weil durch den Eingriff der Behörden plötzlich gesagt wird, dass der zum Ramadan gehörende Zakat nicht mehr frei jedem Bedürftigen zugewandt werden darf. Er wird in diesem Lande zu einem politischen Akt, wenn er den Notleidenden in Gaza zugedacht wird. In den Jahren des Bürgerkriegs fragten weder Caritas noch Diakonie wessen Geistes ein Hungernder oder Verwundeter war. Der Zakat ist unsere Pflicht zu helfen, d.h. von Seiner Barmherzigkeit Zeugnis abzulegen. So, wie der Barmherzige uns durch den Ramadan Seine Barmherzigkeit zeigte, in dem gleichen Gestus geben die Gläubigen die Barmherzigkeit an die Mitgeschöpfe . . .  bi-la kaifa (ohne zu fragen).

 

 

Wolf D. Ahmed Aries

w.d.a.aries@freenet.de

Publiziert in der Ayasofya 36, 2011

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