Syrien… Aleppo

Sprachlosigkeit. Fehlende Worte. Gefühlschaos. Trauer. Wut.
Enttäuschung. Angst. Ärger.
Seit Wochen und Monaten kursieren unzählige Fotos und
Videos aus Syrien/Aleppo in den sozialen Medien und im
Fernsehen. Als ich das erste Mal mit einem Foto von toten
Kindern konfrontiert wurde, setzte ich zügig eine Distanz
zwischen mir und den Medien. Nicht, weil ich der Realität
aus dem Weg gehen wollte bzw. will. Ich weiß, was in Syrien
passiert.
Meine Absicht ist es, meinen gesunden Menschenverstand
zu wahren und mich nicht an solche Bilder
zu gewöhnen. Mit der Zeit gewöhnt sich der
Mensch an alles. Das, was wir häufiger bewusst
oder unbewusst wahrnehmen, wird in uns zur
Normalität verankert. Ich möchte nicht, dass
tote Menschen und Krieg zur Normalität für
mich werden.
Ich bin erstaunt darüber, wie sich Menschen jeden Tag Fotos
und Videos aus dem Kriegsgebiet anschauen können, ohne
psychische Konsequenzen davon zu tragen. Kein Blinzeln.
Kein Zucken. Nach Videoende einfach weiter scrollen. Das ist
für mich ein gestörter Menschenverstand!
Innerlich spreche ich schon Gebete aus, wenn ich mich in
meine Social Media Accounts einlogge. Gebete, um keinen
Fotos und Videos aus dem Kriegsgebiet zu begegnen. Leider
ist das unumgänglich!
Meine Empathiefähigkeit reicht nicht aus, um den Schmerz
und das Leid der betroffenen Menschen auch nur ansatzweise
nachzuvollziehen. Was in meinem Leben ist denn diesem
Elend gleich gestellt? Ich bin keine Mutter, bin aber zweifache
Tante, die nach dem Islam dem Status der Mutter nahe
liegt. Wenn ich auch nur einen Gedanken daran verliere, dass
meine Nichten sich beim Spielen am Knie verletzen, setzt
sich ein tonnenschwerer Stein auf mein Herz und tut mir
weh. Wie soll ich denn die ganzen Anblicke
aus dem Kriegsgebiet ertragen und mir
diese hemmungslos anschauen?
Mitgefühl ist eine Eigenschaft, die leider
nicht alle Menschen auf dieser Welt unbeschadet
besitzen. Sehr viele Menschen
haben diese Eigenschaft ihren eigenen
Interessen nach „getunt“. Dem Mitgefühl wurden unzählige
Filter aufgesetzt. Diese Filter heißen unter anderem
Religion, Kultur, Geschlecht, Nationalität, Ethnie, Sexualität…
Mitgefühl sollte an alle Menschen dieser Welt ausgerichtet
sein. Die Realität weicht aber sehr stark von dieser
Selbstverständlichkeit ab. Mich erinnert das Ganze an die
Rassenpolitik des Nationalsozialismus. „Alles, was meinem

Raster und meinen Wünschen entspricht ist richtig und
alles andere kann ausgebeutet und vernichtet werden.“
Sowohl diejenigen, die diese Gräueltaten ausüben als auch
diejenigen (meines Erachtens die meisten), die sich wegen
diesen Gräueltaten auf irgendeine Art und Weise rächen
möchten, handeln nach diesem Muster.
Beispiele: Angehörige der Religion XY
haben nur Mitgefühl für das Elend der
Angehörigen der Religion XY oder das
Volk AB hat nur Mitgefühl für ihre eigenen
Landsleute usw. Diese Liste kann x-beliebig
fortgesetzt werden.
Zwei Dinge habe ich in meinem bisherigen
Leben gelernt:
1. Die Geschichte wiederholt sich.
2. Sehr viele lernen nicht aus der Geschichte.
Ja, wir leben im 21. Jahrhundert. Ja, wir sind technisch fortgeschritten.
Ja, wir sind kultiviert. Aber was die Menschlichkeit
angeht, zählen wir auf der Stelle.
Was kann man in dieser Situation machen? Ich habe für
mich drei Dinge notiert, die ich allen mit auf den Weg geben
möchte:
1. Bittgebete. Bittgebete. Bittgebete.
Egal an wem oder an was du glaubst!
2. Humanitäre Hilfe durch Spenden.
„Niemand ist je vom Geben arm geworden.“ sagte Anne
Frank. Es gibt einige seriöse Hilfsorganisationen, mit denen
ich positive Erfahrungen gemacht habe. Diese sind unter
anderem: Islamic Relief Deutschland e.V. (www.islamicrelief.
de), Muslimehelfen e.V. (www.muslimehelfen.org), IGMG
Hilfs- und Sozialverein e. V. (www.hasene.org) und WEFA
e.V. Weltweiter Einsatz für Arme (www.wefa.org). Für weitere
Hilfsorganisationen und Spendenkontos fragt in euren
(Moschee-)Gemeinden oder in eurem Bekanntenkreis nach!
3. Solidarität durch Beistand.
In Deutschland leben mittlerweile viele Menschen, die
aus Syrien geflüchtet sind. Seid für sie da! Jetzt! Zeigt eure
Solidarität durch euren Beistand. Diese Menschen haben
dort ihr Leben, ihre Vergangenheit, ihre Familie und vieles
mehr zurückgelassen. Es ist Zeit unser Mitgefühl in die Praxis
umzusetzen!

4. Macht darauf aufmerksam.
In einem Hadith heißt es: „Wer von euch etwas Übles sieht,
soll es mit eigener Hand ändern, und wenn er dies nicht
vermag, so soll er es mit seiner Zunge verändern, und wenn
er dies nicht kann, dann mit seinem Herzen, und dies ist die
schwächste Form des Glaubens”.
Macht andere Menschen auf unterschiedliche
Art und Weise auf diese Gräueltaten
aufmerksam. Führt zum Beispiel Infound/
oder Spendeveranstaltungen
durch, organisiert Demonstrationen/
Kundgebungen, gestaltet Infomaterial
und Flyer, um andere Menschen darüber
aufzuklären, wie man den Menschen
mit Fluchterfahrungen in eurer Stadt
helfen kann (z.B. Patenschaftsprojekte,
Kleiderkammer, ehrenamtliche
Tätigkeiten usw.). Im Türkischen gibt es
die Redewendung „Bir elin nesi var, iki elin sesi var“, die
ins Deutsche übersetzt so gut wie „Zwei Köpfe sind besser
als einer“ heißt. Tut euch mit Mitstreiter/innen zusammen,
denn gemeinsam ist man stärker!
Während man sich Gedanken darüber macht, wie man die
Welt besser gestalten kann und den Menschen helfen kann,
wird man sehr oft feststellen, dass Verbesserungen Zeit brauchen
und gewisse Gräueltaten weiterhin andauern (werden).
Denkt in solchen Momenten an die Ameise, die sich mit
wenigen Tropfen Wasser auf den Weg machte, um das Feuer
zu löschen, das Abraham verbrennen sollte. Genau wie die
Aussage der Ameise sollte unsere Einstellung „Ich weiß,
dass ich mit diesen wenigen Tropfen nicht das große
Feuer löschen kann, aber ich kann zeigen, auf welcher
Seite ich stehe!“, sein.
Im Koran heißt es in der Surah Ibrahim, Ayah (Vers) 42: „Und
meine ja nicht, Allah sei unachtsam dessen, was die
Ungerechten tun. Er stellt sie nur zurück bis zu einem
Tag, an dem die Blicke starr werden.“
Mögen unsere Bittgebete erhört werden! AMEN!

 

Seda Karabacak
Ayasofya Nr. 57

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