Salat und Gebet

Salat und Gebet

 

Irgendwann wurde es zur Gewohnheit das arabische Wort und den islamischen Begriff ´salat´mit dem deutschen Wort Gebet zu übersetzen. Und Muslime, die nach Deutschland kamen, übernahmen diese Übersetzung, denn schließlich sprachen auch die deutschen Muslime von ihrem Gebet. Mir selbst kamen erste Zweifel an dieser Art des Vorgehens, als ich angehenden evangelischen und katholischen Religionslehrern das islamische Gebet schildern, beschreiben bzw. erklären sollte. Je länger ich mich bemühte, desto schwieriger es wurde.

 

Heute beginne ich mit den Weisungen der Offenbarung zu bestimmten Zeiten zu beten, was stets mit einer festen Uhrzeit verbunden wird. Wenn man die Texte aber bewusst liest, dann nennt die Offenbarung keine Uhrzeit, sondern verweist auf den Wechsel von hell und dunkel. So heißt es in ayat 48 der sura: „. . lobpreise Seine Ruhm bei Nacht, und zu einer Zeit, da Sterne zurückweichen.“ Auch die andere ayat, in denen etwas zur Zeit gesagt wird, beziehen sich auf die Veränderungen in der Natur des Ort an dem der Gläubige lebt. Der Muslim ist daher in die Tagesrhythmik, wissenschaftlich die circadiane Rhythmik, eingebettet. Er steht damit im Geschehen der Schöpfung, was noch deutlicher wird, wenn man sich bewusst macht, warum manche Gebete im Winter dicht bei einander liegen und im Sommer weit auseinander. Der Salat ist daher nichts Mechanisches, Stures, sondern gehört in den Atem Seiner Schöpfung. Meine christlichen Studenten werden zumeist nachdenklich, was ich dadurch fördere, dass ich auf alte benediktinische Regel der Stundengebete hinweise, was katholischen Studenten vertrauter ist als den norddeutschen Protestanten. Ihnen wird diese Einbettung in den Tagesverlauf vertrauter, wenn sie vom Gedanken der „Bewahrung der Schöpfung“ her kommen.

Übrigens erzählte mir einer meiner theologischen Kollegen am Rande einer Besprechung, dass er durch das Nachdenken über die Einbettung des Salat zu eben diesen Nonengebeten zurückgefunden habe.

 

Im zweiten Schritt wende ich mich der niya, türkisch niyet, zu. Die übliche Übersetzung lautet „Absicht“, was richtig ist, aber den orthopraktischen Vollzug nicht erfasst. Der muslimische Gläubige muss bevor er, sie sich der dem salat vorausgehenden Reinigung zuwendet, bewusst werden, dass sie, er etwas für und vor Gott tun will. Hier reicht nicht die bloße juristisch fassbare Absicht. Anders ausgedrückt: Der, die Gläubige will es, aber Lust hat er keine. Na, ja, es ist eben Pflicht. Nein, der Gläubige muss sein Wollen wirkliche wollen. Und da dieses Wollen nicht nur die gesamte Reinigung hindurch gehalten werden muss, sondern bis zum Gebetsende durchzuhalten ist, sprechen manche davon, dass die niya letztlich ein Zustand sei. Sie ist ein Attribut des Salat. Dieser philosophische Gedanke bringt manchen meiner Studenten ins nachdenken über seine Gebetshaltung, so dass gefragt wird, ob man nicht niya am ehesten mit „Aufrichtigkeit“ übertragen sollte.

 

Der nächste Schritt wendet sich der Reinigung zu oder wie gerne gesagt wird „dem Waschen“. Wie tief diese Pflicht missverstanden wird, mag folgende Anekdote verdeutlichen: Im Vorlauf des Umbaues eines früheren Metallverarbeitungsbetriebes besichtigen die Mitarbeiter zu örtlichen Bauamtes den Komplex. Die Verantwortlichen des Moschee-Vereines erläuterten die geplanten Maßnahmen und kamen so schließlich in die Kellerräume, wo sie zeigten welche Nassräume z.B. die Duschen hin sollten. Beim Hinausgehen sprach mich einer der städtischen Mitarbeiter an und fragte: „Das ist doch teuer. Wozu brauchen die soviel Platz für das Waschen? Können die sich nicht zu Hause waschen? Oder, sind die so schmutzig?“ Seitdem spreche ich nicht mehr vom Waschen, sondern nur noch vom Reinigen vor dem Gebet. Nach dem Besuch der Toilette wäscht man sich die Hände, aber vor dem salat reinigt sich der Gläubige unter fließendem und vor abfließendem Wasser, damit seine „Dummheiten“ fortgeschwemmt werden. Diese etwas flapsige Bemerkung provoziert für Christen aller Art, d.h. Kirchen, die Frage nach dem Begriff der Sünde. So befinden sich Dialogpartner mitten in einer theologischen Diskussion, bevor man beim Gebet selber angelangt ist.

Doch nun folgen die wenigen Schritte vom Ort der Reinigung zum Ort der Niederwerfung, dem Ort, an dem umgangssprachlich das Gebet stattfindet. Es ist ein Zusammenklang von Wort und körperlichen Gesten, gelebte Orthopraxie. In der Autobiographie Muhammad Asads fragt daher ein alter Beduine: „Wie sollten wir denn Gott anders anbeten? Hat Er nicht beides erschaffen, Seele und Körper, beide zusammen? Und da solches Gottes Wille war, soll man nicht sowohl mit dem Leibe als auch mit der Seele zu Ihm beten?“ Die im memorierten Wort gemeinte Hingabe nimmt in der körperlichen Geste Gestalt an. Der evangelischen Gebetshaltung mag dieser Zusammenhang völlig fremd sein, während in anderen Kirchen an wenigen Stellen beides eine Einheit findet.

 

Es gibt jedoch noch eine wesentliche Andersheit gegenüber allen christlichen Gebetshinwendungen zu Gott. Sie wird durchweg übersehen, und ist dennoch für den Muslim etwas Entscheidendes. Es ist das Bekenntnis zu dem Einen und seinem Gesandten. Christlich nennt man dies das „Credo“: Ich glaube an . . . . In kirchlichen Gottesdiensten spricht es die Gemeinschaft der Gläubigen unter der Leitung des Priesters oder Pfarrers laut und vernehmbar, so dass jeder Mitsprechende den Nebenmann hört. Der Muslim sagt seine „shahada“ vor Ihm und vor niemandem anderen. Äußerlich schweigt die umma der Betenden. Und es ist schon beeindruckend, wenn in einer Moschee hunderte oder tausende Menschen schweigend auf dem Boden knien. In einem solchen Augenblick gewinnt die niya ihren tiefsten Grund, denn der Gläubige will sein Wollen des Sich-Bekennens zu Ihm.

 

Religionswissenschaftlich und religionspsychologisch gesehen handelt es sich um eine Kontingentbewältigung, die allerdings nicht ein Mal in der Woche geleistet wird, vielmehr neun Mal innerhalb der vierundzwanzig Stunden eines Tages. Mit der Kontingenzbewältigung, dass der Gläubige Ihn den alleinigen allmächtigen Allerbarmer bekennt, gibt er den Unverfügbarkeiten des Lebens, des Sein, einen nicht zu überschreitenden Sinn.

 

So mögen Fachwissenschaftler dem gesamten Verhalten eines Muslims den Begriff ´Gebet´ zuschreiben, aber als Muslim ist der salat etwas Besonderes, das ihn sein Leben hindurch begleitet, was viele Muslime nicht bedenken. Wer in seiner Jugend mit dem Beten begann und es durch alle Phasen seiner Entwicklung zum Erwachsenen, zur Familie und in das Alter hinein durchhält, dem gewinnen die Texte wie der körperliche Gestus nicht nur an Notwendigkeit, sondern auch an Tiefe. Die Bedeutung der Bitte um Seine Führung auf dem geraden Weg, erhielt mit den Jahrzehnten Tiefe, weil der Mensch erfuhr, wie oft er irrte, und wie elementar er Seiner Barmherzigkeit bedurfte.

 

Es gibt daher in der Erziehung eines Muslimen, kein begründeteres pädagogisches Ziel, als den Willen zum Gebet zu stärken.

 

Wolf Ahmed Aries

w.d.a.aries@online.de

Publiziert in der Ayasofya 42, 2013

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