Befreundet mit einem Muslim?!

Befreundet mit einem Muslim?!

Wie weit geht die Nächstenliebe eines Katholiken?

 

Die katholische Kirche wird bekanntlich immer wieder mit Schlagwörtern wie Kreuzzügen, Ablasshandel oder Hexenverbrennung in Verbindung gebracht. Vor allem die vom Vatikan, dem kleinsten Staat der Welt inmitten der Stadt Rom, unterstützten Kreuzzüge stoßen bei Muslimen bitter auf. Es waren im Mittelalter schließlich Kreuzritter, die mit katholischer Erlaubnis auf ihrem blutigen Pfad im Nahen Osten „Ungläubige“ töteten. Der Konflikt mit Muslimen fand zum Beispiel auch in Spanien statt, wo sich vor vielen Jahrhunderten Katholiken und Muslime bis aufs Blut bekämpften. Selbst heute liest man traurigerweise in den Zeitungen von blutigen Zusammenstößen, wie im afrikanischen Nigeria.

 

Zusätzlich zum historischen Ballast, der sich über Jahrhunderte angesammelt hat, kommen theologische Diskrepanzen, wie die Rolle von Jesus Christus.
Daher scheint die Frage berechtigt, wie es denn sein kann, dass im Deutschland des 21. Jahrhunderts dennoch Freundschaft zwischen Muslimen und Katholiken möglich ist, wie bei Cemil Sahinöz und Michael Sendker.
Von katholischer Seite gab es in den 1960er Jahren eine große Zusammenkunft, bei der die katholische Kirche einen Wandel in vielen Punkten vollzogen hat. Es handelt sich um das 2. Vatikanische Konzil.
Es brach eine Tradition, in der Religionsfreiheit abgelehnt worden war und der Anspruch herrschte, selbst vollkommen zu sein. In diesem Traditionsstrang ist die katholische Kirche nicht immer als eine rein religiöse Instanz aufgetreten, sondern galt stets auch als eine starke Machtinstitution. Im späten Mittelalter finanzierte man mit Ablassbriefen teure Bauprojekte, die Kirche hatte immer wieder hohen Einfluss auf weltliche Herrscher, wie Kaiser, Könige, Fürsten oder Herzöge. Teilweise besaßen hohe Kirchenherren selbst viele Ländereien und erwirtschafteten so viel Geld.
Im Zeitalter der Aufklärung jedoch verlor die Kirche zusehends an Einfluss und begann als Gegenreaktion eine Politik des Antimodernismus. Als „societas perfecta„, also eine vollkommene Gesellschaft, sah sich Kirche als Gegenpol zur unvollkommenen Welt und somit unvereinbar mit der Moderne.

 

Diese Abgrenzungshaltung bewirkte jedoch eine weitere Entfernung zur modernen gesellschaftlichen Realität, bis Papst Johannes XXIII. zu Beginn der 60er Jahre diesem Trend entgegenwirkte. Er öffnete im Vatikan symbolisch die Fenster mit dem Verweis, die katholische Kirche benötige frischen Wind.

 

Es folgte das große zweite vatikanische Konzil, welches sich über drei Jahre erstreckte und neuen Wind in alte Gemäuer brachte. Dieser frische Wind, der seit dem im Katholizismus weht, hat eine neue Einstellung gegenüber der modernen Gesellschaft mit sich gebracht. In einer offeneren Haltung gegenüber der Moderne lehnt die katholische Kirche auch den wesentlichen Absolutheitsanspruch ab, eine societas perfecta zu sein: Im Bezug zu Andersglaubenden, spricht sie sich für die Religionsfreiheit aus: „Das Vatikanische Konzil erklärt, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von Seiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlichen Gewalt, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen – innerhalb der gebührenden Grenzen – nach seinem Gewissen zu handeln“ (Dignitatis Humanae 2,1)*.
Das Verhältnis zwischen Christen und Muslime wird auch beleuchtet. Beide beten hiernach, aber auch gemäß dem Koran den gleichen Gott an:

 

„Der Heilswille [Gottes] umfasst aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslim, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird“ (Lumen Gentium 16)*.
„Wir glauben an das, was (als Offenbarung) zu uns, und was zu euch herabgesandt worden ist. Unser und euer Gott ist einer. Ihm sind wir ergeben“ (Koran, Sure 39, 46).
In Jesus Christus, der aus Sicht der Christen am Kreuz gestorben und drei Tage später von den Toten auferstanden ist, hat Gott seine Liebe allen Menschen gegenüber gezeigt. Seine Liebe zu den Menschen erstreckt sich sogar bis in den Tod, der durch Gott besiegt wird. Daher richtet sich die Botschaft vom Kreuz in ihrer universellen Ausrichtung an alle Menschen! Aus dieser Liebe, die Gott uns gegenüber zeigt, sind gerade Christen dazu aufgefordert, ihren Nächsten zu lieben. So bezeugt es auch die Bibel, die heilige Schrift der Christen, im Gebot der Nächstenliebe wie auch in der im Volksmund bekannte „Goldenen Regel“: „Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst“ (Lev 19,18). „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten“ (Mt 7,12).

 

Die Frage, um wen es sich beim „Nächsten“ handelt, ist leicht zu beantworten: Es ist jeder Mensch. Daher kann ein Katholik sehr wohl mit einem Muslim befreundet sein. Wenngleich es in theologischen Streitfragen immer Unterschiede geben wird, darf dies kein Grund sein, eine interreligiöse Freundschaft grundsätzlich abzulehnen. Freundschaften beschränken sich schließlich nicht nur auf den theologischen Disput, sondern werden vor allem im Zwischenmenschlichen lebendig.

 

* Bei „Dignitatis Humanae“ und „Lumen Gentium“ handelt es sich um zentrale Beschlusstexte des 2. Vatikanischen Konzils.

 

Michael Sendker

michael_sendker@yahoo.com

Publiziert in der Ayasofya 40, 2012

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