Mit Sauerstoff im Magen auf der Suche nach Gerechtigkeit

sauerstoff

Richtig oder falsch, gut oder böse, gerecht oder ungerecht, beliebt oder FDP, momentan bewegen wir uns im Dunst der Schwarz-Weiß Malerei. Wer sagt uns eigentlich was richtig oder falsch ist? Oder warum halten wir Dinge für richtig oder falsch? Eine sehr philosophische Frage. Wenn wir nicht die Münze werfen, woran machen wir dann fest, was richtig oder falsch ist? Bei so vielen Schlaumeiern, die uns heute die Lebensphilosophie als Buch für 1,95 Euro verkaufen kann man da schnell mal den Überblick verlieren. Oder wenn man morgens zur Arbeit trödelt und plötzlich schreit jemand von der Seite „Erwachet“, dann wissen wir, wir sind wach geworden und der letzte Hauch von Müdigkeit schwindet. Viele suchen sich ja eine Lebensphilosophie, aber  manche haben da ihr ganz eigenes Lebensmotto wie z.B. „Entscheide Dich im Zweifelsfalle für das Richtige“ oder aber trage die Konsequenzen wie ein Kölner frei nach dem Motto „Et kütt wie et kütt“, denn wir  wissen ja, „Et ist noch immer alles joot jegangen“. Und ein kleiner Tipp, wenn jemand scheinbar die beste Lösung hat und den Satz mit: „Meiner Meinung nach…“ beginnt, suche die Ferne. Hilft sehr oft. Und glaubt nicht, dass Anwälte immer alles wissen. Recht hat oft der, der die besseren rhetorischen Fähigkeiten besitzt. Apropos Juristen, vor denen muss man sowieso immer auf der Hut sein. Neulich ging ein Freund zum Juristen und fragte ihn, ob er auch eine Kurzberatung anbieten würde. Jurist: „Ja“. Und wie viel er für drei Fragen nehmen würde. Jurist: „150 Euro für drei Fragen… und nun kommen sie bitte zu ihrer dritten Frage!“  Gut, Juristen sind keine Philosophen oder Geistliche, die immer für jede Lebenslage eine Lebensphilosophie parat haben, aber dafür eine finanziell nützliche Lösung. Politiker und Journalisten sind da anders gepolt. Die haben haufenweise Lebensphilosophien zu verkaufen. Gerade die Experten in den Medien liegen oft mit ihrer Weltanschauung und ihren Prognosen selten richtig. Darum gibt es ja eine neue Definition des Wortes Experte. Experten sind Leute, die im Nachhinein ganz genau erklären können, warum ihre Prognose nicht gestimmt hat. Meist sind immer nur die anderen schuld. Wir leben schließlich in einer Gesellschaft von Schuldzuweisern. So eine Lebensphilosophie und Weltanschauung ist ziemlich resistent; erkenntnisresistent. Die Frage nach dem Sinn ist für diese Leute oft nur Unsinn. Da helfen keine nachweisbaren Widerlegungen oder Umfrageergebnisse. Na ja, gut, Umfrageergebnisse sind nicht so zuverlässig. Eine Umfrage hat ergeben, dass Umfragen keinen Sinn machen.

Was macht denn heute schon Sinn? Ich gucke in einen Prospekt einer Supermarktkette und da steht neben der Ware ganz groß, wie viel man spart. Ich will aber wissen, wie viel ich ausgeben muss. Als ich am Ende des Prospektes war, hatte ich mehr gespart, als ich Geld hatte. So funktioniert übrigens auch irgendwie das ganze Finanz- und Wirtschaftssystem. Nicht ganz so, nur es wird verkompliziert dargestellt und eine Transparenz vorgegaukelt, so dass wir oft die kausalen Zusammenhänge nicht nachvollziehen können. Ich will mal ein Beispiel geben: Nehmen wir mal das Thema Rente. Unser Rentensystem ist nach der Abseitsregel und dem ausfüllen von Lohnsteuerbescheiden das drittkomplizierteste, was unsere Bürokratie zu bieten hat. Wenn es nach den Politikern geht, ist es nur eine Frage der Erklärung, um ein System verstehen zu können, ganz nach dem Motto der Schuldzuweiser. Also ich versuche mal ein Rentenmodell zu erklären. Nehmen wir da mal einen Beispielfall. Also, wenn z.B. ein 60 Jähriger 40 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat und zusätzlich eine Riesterrente abgeschlossen hat, können, wenn sie nachweislich einen steuerlichen Förderung und staatlich anerkannte Anteile einer kapitalgedeckte Anteile einer Aktie hat, aber auch nur solche, die nicht mit einer Einmalzahlung oder aber bisher auf Kindergeld verzichtet haben und zudem… Moment jetzt bin ich durcheinander gekommen, noch einmal. Also, wenn ein 60 Jähriges Kind bisher neben seinem Kindergeld… Nee, noch einmal. Also wenn sagen wir ein 160 Jähriger Computerfachmann innerhalb der steuerlichen Förderung anteilig des Kapitals beim Todesfall innerhalb eines Jahres… Moment, so geht das auch nicht. Ein letzter Versuch. Also, sagen wir ein Vierköpfiger Ehemann mit 90 Jährigen Kindern die geschieden sind und für die die verstorbene Mutter noch Kindergeld bezieht, ein Leben lang gerührupt und geriestert hat und zudem in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat… Ach, ich geb´s auf.

Da erzähle ich doch lieber von meinen Alltagserlebnissen. Zu der Frage, ob etwas gerecht oder ungerecht ist gehört das Thema Vorurteile. Wir haben ja alle irgendwie Vorurteile, aber es ist immer die Frage, wie man in Selbstreflexion mit diesen Vorurteilen umgeht. Ich gehe in einen Laden, wo ich etwas bestellt habe. Der erste Verkäufer geht die Ware holen, ich sitze da und warte. Neben mir eine Dame die nun von einem zweiten Verkäufer bedient wird. Sie muss in die Anprobe, guckt aber ganz komisch zu mir herüber. Dann sagt sie plötzlich zu mir: „Junger Mann, wenn ich in der Anprobe bin, dann klauen sie mir doch sicher nicht mein Fahrrad, ich habe es nämlich nicht abgeschlossen!“ und guckt dabei vor die Tür, wo ihr Fahrrad steht. Ich gucke auch dahin und dann zu der Frau und sage zu ihr: „Keine Sorge liebe Frau, das ist nicht meine Branche. Dafür sind die Polen zuständig. Ich kann ihnen aber Drogen anbieten!“ Ein Witz im Witz ist, dass der Sarkasmus in der Antwort auch nicht erkannt wird und sich im empörten Gesichtsausdruck der Dame bemerkbar macht. Manche Dinge erträgt man nur mit Zynismus und Sarkasmus. So z.B. das Bewerbungsgespräch, in dem wir früher oder später auf das Thema Religion kommen. Vorurteile gegen Religionen sind ja auch allgegenwärtig. Irgendwann fragt der Chef: „Und was denken sie zum Thema Kopftuch, wäre ihnen ein Minirock lieber als ein Kopftuch?“ Abgesehen davon, dass das Niveau dieser Frage nicht gerade den Ansprüchen für die Stelle entspricht sehe ich darin eine Steilvorlage und antworte: „Nee“. Chef: „Warum?“ Ich: „So ein Minirock auf dem Kopf sieht irgendwie nicht aus und die Frau würde sich nur zum Deppen machen!“ Der Job war natürlich weg.

Ja, ja. Die einen haben die Freiheit zu fragen, da nehmen wir uns doch die Freiheit zu antworten. Manche nehmen sich auch die Freiheit zu lügen, doch das muss jeder mit seinem eigenen Gewissen vereinbaren. Ich frage mich z.B. wie es ein Getränkehersteller mit seinem Gewissen vereinbaren kann, Wasser mit besonders viel angereichertem Sauerstoff als gesund und fördernd zu verkaufen. Hat dem denn niemand erklärt, dass Sauerstoff in die Lunge gehört und nicht in den Magen? Es ist immer die Frage der Verpackung. Lügen und ungerechte Weltbilder lassen sich immer nur mit einer Scheinwahrheit präsentieren. Aber Vorsicht, manchmal kann es auch peinlich werden. So wie bei einem chinesischen Metzger in Sydney. Ist wirklich passiert. Der chinesische Metzger zieht nach Sydney um und eröffnet in einem muslimischen Wohnviertel sein Geschäft. Nach kurzer Zeit merkt er, dass kaum Leute bei ihm Fleisch kaufen. Er geht zu anderen Fleischereien und befragt die Leute um den Grund dafür zu erfahren, warum die Leute in dem Viertel kein Fleisch bei ihm kaufen und erfährt, dass es daran liegt, dass er kein halal Fleisch verkauft. Am nächsten Morgen steht auf seiner Angebotstafel ganz groß: „Heute im Angebot halal Fleisch vom Schwein“.

 

Wir hatten ja gesagt, dass Umfragen ergeben haben, dass Umfragen keinen Sinn machen. 🙂 Andere fliegen dafür um die Welt, um den Menschen zu erklären, dass durch die Fliegerei die Umwelt zerstört wird, Finanzhaie, Politiker und Börsenspekulanten versuchen uns zu erklären, warum Finanzlöcher gestopft werden sollen, obwohl diese Finanzlöcher im Grunde nichts anderes sind, als Löcher in Phrasen, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt; oder zumindest keine Gegenleistung für diese, wie Krebsgeschwüre wuchernde Zinsen gibt. Die Frage nach richtig oder falsch, gut oder schlecht richtet sich nicht ausschließlich nach offenkundigen Verbrechen. Hinter der Rhetorik und der Dialektik eines Systems und der Komplexität verbirgt sich eine ganze Menge von Ungerechtigkeiten, die man als Bürger nicht gleich erkennt und die selbst die finanziellen Nutznießer und Profiteure im Sinne des sozialen Kapitals nach Bordieu dieser Systeme nicht erkennen. Das Gewissen wird nicht nur ausgetrickst, es wird ausgeblendet.

So, jetzt suche ich mit einem Minirock auf dem Kopf ein Fahrrad, um noch eine Runde einkaufen zu fahren, um zu sparen und trinke meine sauerstoffangereichertes Wasser und esse dazu mein Halal Fleisch um die Ecke und versuche abends meine eigene Rente auszurechnen. Und wenn alles gut geht und ich nicht in der Klapse lande, sehen wir uns in drei Monaten wieder.  Bis dahin alles Gute und lassen sie nicht zu, dass man ihr Gewissen umgeht. 🙂
Cemil Y?ld?r?m
cemilyildirim@hotmail.com

Publiziert in der Ayasofya 40, 2012

 

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